„The Day of the Jackal“: Die Gegenwart im Zielfernrohr – Review (2024)

Killer-Thriller-Serie frei nach Frederick Forsyths Roman bietet Suspense und Schauwerte

Rezension von Gian-Philip Andreas – 06.11.2024, 17:30Uhr

„The Day of the Jackal“: Die Gegenwart im Zielfernrohr – Review (2)

Zweimal ist Frederick Forsyths stilbildender Politthriller „Der Schakal“ (1971) schon verfilmt worden – einmal zeitnah und werkgetreu und einmal so lose, dass Forsyth nicht im Vorspann genannt werden wollte. Fred Zinnemanns Film von 1973 mit Edward Fox in der Titelrolle als genialischer Killer und Scharfschütze gilt heute als Klassiker, das Quasi–Remake mit Bruce Willis dagegen ist sehr schlecht gealtert. Jetzt bringt die britisch-amerikanische Serie „The Day of the Jackal“, ko-produziert für den Pay-TV-Sender Sky und den US-Streamingdienst Peacock, den Stoff auf Wiedervorlage: gestreckt auf zehn Episoden, versetzt in unsere Gegenwart. Erstaunlicherweise geht das gut – wegen der starken Schauspielleistungen und einer kinoreifen Produktion.

Das wirkungsvollste Merkmal des Romans ist die so enge Parallelführung von Held und Antiheld, dass deren Unterscheidung beim Lesen gar nicht so leicht möglich ist. Abwechselnd beleuchtet werden der kaltblütige, hochprofessionelle und stets namenlos bleibende Auftragsmörder, der sich nur „Schakal“ nennen lässt, und der französische Kommissar Lebel, der den Mörder jagt, ihm immer mehr auf die Schliche kommt. Der Schakal kann ihm mehrfach knapp entwischen, und am Ende steht ein bewundernd ausgetauschter Blick zwischen Jäger und Gejagtem. Und auch man selbst hat beim Lesen verstörenderweise nicht nur mit dem Gesetzeshüter mitgefiebert.

Im Roman geht es nur um einen einzigen Fall: das geplante Attentat auf den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Der damals 33-jährige Forsyth, bis dahin als Journalist tätig, stützte sich beim Schreiben seines Debütromans auf wahre Gegebenheiten: Tatsächlich waren damals mehrere Anschläge auf de Gaulle fehlgeschlagen, die die rechtsextremistische Terrororganisation OAS auf ihn verübt hatte. Forsyth hatte das weitergedacht und den „Schakal“ erfunden: einen perfektionistischen Anschlagsmörder, angeheuert von der OAS.

Zinnemanns oscarnominierter Film blieb in den wesentlichen Details eng beim Roman und beeindruckt auch heute noch durch seine ökonomische Machart: Als Zuschauer erhält man stets nur jene Informationen, die für das Verständnis der jeweiligen Szene notwendig sind. Die lose Neuverfilmung von 1997 dagegen machte aus den Rechtsterroristen russische Gangster, aus dem Kommissar einen nordirischen IRA-Terroristen und aus dem knackig konstruierten Thriller einen trüb vor sich hinschlurfenden Westentaschenreißer in Spätneunzigeroptik.

Auch Ronan Bennett, bekannt als Autor der britischen Crime-Serie „Top Boy“, verlegt den Stoff nun in die Gegenwart, und zwar als loses Spiel mit den Handlungskomponenten des Romans. Dabei kann er sich auf die Wohlgesinntheit des heute 86-jährigen Forsyth berufen: Der Schriftsteller fungiert sogar als consulting producer, was Freunden der Werktreue sehr gefallen dürfte. Dem Strukturprinzip des Romans, dem wechselseitig im Fokus stehenden Katz-und-Maus-Spiel, bleibt die Serie treu, und auch sonst finden sich viele Szenen wieder, die Fans von Buch und/​oder Erstverfilmung sofort erkennen dürften. Ihnen sei das Ansehen allein mit den folgenden Stichworten schmackhaft gemacht: Maulwurf, Schwulenbar, Melonentest. Alles drin!

Der Schakal (schmallippig-soziopathisch gespielt von Eddie Redmayne) hat immer noch keinen Namen und verdingt sich nach wie vor international als präzisionsbegeisterter Auftrags-Sniper. Ansonsten aber ist vieles anders. Eingangs agiert der Schakal zum Beispiel nicht auf Geheiß von Rechtsextremisten, vielmehr soll er gerade einen solchen liquidieren: den Chef einer (fiktiven) rechten Partei in Deutschland, die nicht nur wegen der blau grundierten Plakate an ein reales Vorbild erinnert. Der Parteichef (schön fiese Gastrolle für Burghart Klaußner) wird von einer Kugel niedergestreckt, die, so ermittelt es später die Forensik, aus über drei Kilometern Entfernung abgefeuert wurde.

Auf diese rekordverdächtige Exekutionsleistung wird alsbald Bianca Pullman aufmerksam, Agentin und Waffenspezialistin des britischen Geheimdiensts MI6. Gespielt wird sie von Lashana Lynch, die in diesem Metier Erfahrung hat, durfte sie doch im letzten Bond-Abenteuer schließlich schon die 007-Nummer tragen. Pullman macht sich, im Auftrag ihrer Vorgesetzten Kirby und Halcrow (gekonnt zwielichtig gespielt von Lia Williams und Chukwudi Iwuji) daran, den flüchtigen Edelkiller aufzuspüren. Ein wichtiger Zwischenschritt wäre es, dessen ebenso flüchtigen Waffenbauer Norman Stoke (Richard Dormer, „Fortitude“) zu befragen, der für den Schakal das maßgeschneiderte Gewehr hergestellt haben muss. Die erweiterte Rolle des Waffenbauers ist eines von mehreren narrativen Streckmitteln, die die Serie auf zehn Episoden bringen helfen.

Drei andere Aspekte kommen dafür zum Tragen. Erstens hat das Attentat auf den rechten Politiker Nachwirkungen, weil sich der Auftraggeber weigert, den Schakal auszubezahlen, woraufhin dieser an den Tatort zurückkehrt und eine Hinweiskette in Gang bringt, die das Katz-und-Maus-Spiel mit Pullman erst so richtig möglich macht. Zweitens wird dem Schakal ein neuer Auftrag angedient: Mächtige Banker (in zentraler Rolle und mit honiggelber Hornbrille: „Game of Thrones“-Schurke Charles Dance) wollen den von seinen Jüngern gottgleich verehrten Tech-Milliardär Ulle Dag Charles (Khalid Abdalla, „Drachenläufer“) umbringen lassen, der mit seiner App „River“ für eine weltweite Finanztransparenz sorgen möchte. Mittelsfrau Zina Jansone (Eleanor Matsuura aus „The Walking Dead“) sieht die Ausputzarbeiten, die der Schakal bezüglich seines letzten Jobs zu erledigen hat, mit zunehmender Sorge.

Drittens (und das ist die entscheidendste Änderung) werden sowohl dem Schakal als auch Pullman problematische Privatleben an die Hand gegeben. Der Schakal ist hier nicht mehr der eiskalte, ethisch entkernte Profi, über dessen Herkunft und Hintergrund nichts bekannt ist, sondern jemand, der ein Doppelleben führt, mit Nuria („Haus des Geldes“-Star Úrsula Corberó), die er in einer südspanischen Villa in den Hügeln über Cádiz geparkt hat – und die ihm, gemeinsam mit ihrem Bruder (Jon Arias) und ihrer Mutter (Puchi Lagarde), auf die Spur zu kommen droht. Dass der Schakal auch in den zunächst deplatziert scheinenden Familienszenen stets so wirkt, als befinde er sich dort im falschen Film, dass er seine eisige Distanziertheit kaum ablegen kann, ist unbedingt das darstellerische Verdienst von „Die Entdeckung der Unendlichkeit“-Oscarpreisträger Redmayne.

Zugleich gerät auch Pullmans professioneller Ehrgeiz mit ihrem Familienleben in Konflikt. Immer wieder verspricht sie Ehemann (Sule Rimi) und Teenie-Tochter gemeinsame Zeit, ebenso oft muss sie sie enttäuschen. Mörder und Ermittlerin werden auf dieser Ebene konkret parallelisiert: Beide verraten ihr eigenes (mögliches) Glück, beide gehen für ihre Zwecke über Leichen, nehmen tragische Kollateralschäden in Kauf. Es ist wie im Roman: Man fiebert mal mit ihm mit, mal mit ihr, obwohl beide zu grausamen Maßnahmen greifen, die sie als Sympathiefiguren eigentlich disqualifizieren.

Sicher, die Familienszenen können auf Dauer nicht mithalten mit jenen Sequenzen, in denen es um das geplante Attentat geht und sich die Schlinge um den Schakal langsam zuzieht. Gerade im Mittelteil sackt „The Day of the Jackal“ spürbar ab, zu viel Füllmaterial verstopft den Plot, ehe gegen Ende wieder spürbar Fahrt aufgenommen wird. Der Launch der „River“-App fungiert dabei als interner Taktgeber, als Countdown für den Suspense-Haushalt. Daneben legt Bennetts Serie großes Augenmerk auf die handwerklichen Aspekte: auf die akribischen Planungen des Schakals, der sich mit „Mission: Impossible“-mäßigen Masken ebenso auskennt wie mit Sprachen und Waffentechnik. Gewehre werden zusammengeschraubt, 3D-Drucker verrichten ihren Dienst, goldene Kugeln funkeln im Licht, Pläne werden ausgekundschaftet und minutiös ausgeführt.

Dabei geht die Reise quer durch Europa, von München bzw. London nach Schweden, Frankreich und Ungarn, dann nach Estland oder auf eine kroatische Insel, zwischendurch sogar nach Belarus, und all dies sowohl an touristisch-mondänen Schauplätzen als auch in schummrigen Internetcafés, düsteren Waldhütten und anderen Un- und Zwischenorten. Christopher Ross’ Kameraarbeit sieht stets nach großem Kinoabenteuer aus, der Rhythmus passt, und weil Brian Kirk, Regisseur der ersten drei Episoden, sehr viele Szenen mit Popsongs unterlegt, hören auch die anderen Regisseure nicht damit auf. Den Rest des treibenden Soundtracks besorgt der deutsche Musiker Hauschka.

Allein dieser qualitätvollen visuellen und auditiven Gestaltung wegen (die beim schicken Bond-inspirierten Vorspann beginnt) wird’s nie langweilig: Kleine, feine Spannungssequenzen (wenn etwa der Schakal mal wieder von der Polizei durchsucht wird) wechseln sich ab mit actionreichen Setpieces zu Pferde, zu Wasser oder auf Rädern. Dass der Schakal selbst mit zersplitterter Windschutzscheibe elegant durch enge dalmatinische Gassen rasen kann, zählt dabei wohl ebenso zur künstlerischen Freiheit wie manch amüsante Ortsbeschreibung: Zum Treffpunkt „Englischer Garten, 10Uhr“ beordert der Schakal einmal seine Kontaktperson. Kühne Ansage angesichts des 75-Kilometer-Wegenetzes der Münchner Parkanlage!

Ohnehin interessant sind die Story-Verschiebungen in unsere derzeit so erschütterte wie erschütternde Gegenwart: Da redet der britische Verteidigungsminister ganz beiläufig davon, was für ein enger Freund der ermordete deutsche Rechtsextremist gewesen sei, während sich der von seinen Gefolgsleuten umschwänzelte Tech-Guru, dessen Ähnlichkeiten mit Trump-Königsmacher Elon Musk kaum unbeabsichtigt sein dürften, als Wohltäter der Menschheit inszeniert: Gezielt zur Kenntlichkeit entstellt werden hier die neuen Realitäten, in denen Populismus und Selbstbedienung zusammengedacht werden müssen. Etwas tiefer noch hätte Bennett da gerne schürfen dürfen, doch auch so, in ihren Ansätzen, funktionieren diese Umdeutungen gut, um den zeithistorisch verorteten Romanstoff in die Jetztzeit zu hieven. Unter den zahllosen Remakes der letzten Monate zählt dieser neue „Schakal“ also fraglos zu den besseren.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller zehn Episoden von „The Day of the Jackal“.

Meine Wertung: 4/​5

Die Miniserie „The Day of the Jackal“ ist in Deutschland ab 7. November exklusiv auf Sky bei Sky Atlantic und dem Streaming-Service WOW zu sehen.

„The Day of the Jackal“: Die Gegenwart im Zielfernrohr – Review (2024)
Top Articles
Latest Posts
Recommended Articles
Article information

Author: Tyson Zemlak

Last Updated:

Views: 5882

Rating: 4.2 / 5 (63 voted)

Reviews: 94% of readers found this page helpful

Author information

Name: Tyson Zemlak

Birthday: 1992-03-17

Address: Apt. 662 96191 Quigley Dam, Kubview, MA 42013

Phone: +441678032891

Job: Community-Services Orchestrator

Hobby: Coffee roasting, Calligraphy, Metalworking, Fashion, Vehicle restoration, Shopping, Photography

Introduction: My name is Tyson Zemlak, I am a excited, light, sparkling, super, open, fair, magnificent person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.